Zur Menschenrechtssituation
der Kurden in Syrien)
Gefängnis, Folter und Terror. Die Menschenrechtslage in Syrien ist auch nach zwei Jahren Regierungszeit Bashar al-Assads prekär. Die Bevölkerung leidet unter dem andauernden Ausnahmezustand, Repressionen und Gewalt. Besonders aussichtslos ist die Lage der Kurden im Land.
Das Land befindet sich seit knapp 40 Jahren im Ausnahmezustand. Die syrischen Sicherheitskräfte haben alle Mittel in der Hand, um die Freiheiten der Bevölkerung einzuschränken und politische Gegner zum Schweigen zu bringen. Als im Sommer 2000 der langjährige Präsident Hafez al-Assad starb, kam Hoffnung auf, die Menschenrechtslage im Land würde sich verändern. Berichte von heute wissen aber kaum Verbesserungen zu vermelden.
In Syrien (amtliche Bezeichnung: Arabische Republik Syrien) leben rund 16 Millionen Menschen. Die Mehrzahl von ihnen sind Araber. Etwa 13 Prozent sind Kurden. 80 Prozent sind Anhänger der sunnitischen Religion, 10 Prozent gehören den Alawiten (Schiiten) an, rund 10 Prozent sind Christen.Die politische Macht im Land konzentriert sich auf die regierende Arabische Sozialistische Baath-Partei. Dazu gibt es fünf legale Parteien, die zusammen mit der Baath-Partei die National Progressive Front (NPF) bilden. Diese Parteien sind bedeutungslos, denn die ganze Kontrolle liegt bei Baath. Alle Oppositionsparteien sind verboten.
Der Terror der Geheimdienste
Noch wichtiger als die Rolle der Baath-Partei ist der Einfluss der Sicherheitsdienste. Unter militärischer Aufsicht stehen: Military Intelligence und Air Force Intelligence. Dem Innenministerium unterstellt sind General Security, State Security und Political Security. Neben den fünf genannten existieren weitere Geheimdienste, etwa innerhalb der Baath-Partei oder mancher Spezialtruppen. Insgesamt sind zehn Geheimdienste aktiv, die alle ausserhalb der Kontrolle durch Gesetze und unabhängig voneinander operieren. Die Geheimdienste sind für Angst und Verfolgung im Land und für Gewalt und Folter in den Gefängnissen verantwortlich. Die Regierung rechtfertigt die Geheimdienste mit dem Ausnahmezustand, der seit 1963 andauert.
Eingeschränkte Meinungsäusserungsfreiheit
Kein Mensch kann sich erlauben, bei offizieller Stelle zu fragen, aus welchen Gründen jemand festgenommen wurde. Sofort würde die Person selbst von den Sicherheitskräften verfolgt. Und überhaupt: Es gibt keine Meinungsäusserungsfreiheit und keine Kritikfreiheit in Syrien. Und auch die Pressefreiheit gibt es nicht. Das Informationsministerium entscheidet von Fall zu Fall, welche Äusserungen illegal sind. Journalisten werden von den Sicherheitskräften auch für Artikel belangt, die sie im Ausland publizieren. Ausländischen Zeitungen werden ganze Seiten herausgerissen, bevor sie in den Verkauf kommen. Bis zu Assads Tod gaben nur die Baath-Partei und die Regierung Zeitungen heraus. Das Fernsehen steht unter staatlicher Kontrolle. Immerhin ist es heute den kleinen Front-Parteien erlaubt, eigene Zeitungen herauszugeben.
Festnahmen und Amnestie
Kurz nach dem Tod Hafez al-Assads schätzte die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) die Zahl der politischen Gefangenen auf rund 1500. Einige von ihnen - meist Anhänger der verbotenen Moslembruderschaft - sassen seit den 70er und 80er Jahren ohne Gerichtsverfahren in Haft oder sie wurden vom Obersten Staatssicherheitsgericht (Supreme State Security Court, SSSC) nach unfairen Prozessen verurteilt.
Im November 2000 erliess der neue Präsident Bashar al-Assad, Sohn des verstorbenen Hafez al-Assad, eine Amnestie, durch die Hunderte politische Gefangene freikamen. Trotzdem weiss amnesty international in ihrem «Jahresbericht 2001» von zahlreichen politischen Gefangenen zu berichten, die lange Haftstrafen absitzen oder die über das verhängte Strafmass hinaus ohne Kontakt zur Aussenwelt festgehalten werden.
Haftbedingungen und Folter
In den Gefängnissen und Haftanstalten sind Überbelegung, unhaltbare hygienische Verhältnisse und ungenügende Ernährung üblich. Die medizinische Versorgung sei ungenügend bis nicht vorhanden.amnesty international erhält nach wie vor Berichte, wonach politische Gefangene «systematisch gefoltert und misshandelt» würden. «Politische Gefangene sollen, selbst wenn sie erkrankt waren, in unterirdischen Zellen in Einzelhaft festgehalten und mit Foltermethoden wie der Falaqa (Schläge auf die Fusssohle) und wiederholten Fusstritten in den Rücken und auf die Hüften, die Wirbelfrakturen zur Folge hatten, gefoltert worden sein.» Und weiter heisst es im amnesty-international-Bericht: «Darüber hinaus soll politischen Gefangenen befohlen worden sein, Mitinsassen zu schlagen, vor allem Mitglieder ihrer eigenen Partei. Wer sich weigerte, diese Befehle zu befolgen, wurde Berichten zufolge selbst gefoltert.» In den Jahren 2000 und 2001 hatte amnesty international Kenntnis von mindestens je einem Todesfall in der Haft als Folge von Folter und Misshandlungen.
Zwei Millionen syrische Kurden
Besonders in ihren Freiheiten eingeschränkt sind die Kurden. Jede Manifestation des Kurdentums wird als Angriff auf die Einheit des Staates aufgefasst und kann eine Strafe nach sich ziehen. An «Newroz», dem kurdischen Neujahrsfest, werden öffentliche Versammlungen oft gewaltsam aufgelöst. Der Gebrauch der kurdischen Sprache ist sowohl mündlich wie auch in der Kultur (Literatur, Musik) verboten. Die Menschen dürfen ihre kurdischen Namen nicht gebrauchen, selbst Berge wurden im Zuge der Arabisierung umbenannt.
Das öffentliche Leben in den kurdischen Städten wird streng kontrolliert, es gibt Sicherheitskontrollen, und die Menschen fürchten sich vor der Gewalt der Geheimdienste. Die Folgen sind vielfältige psychische Leiden, Angst und Depressionen. Dazu kommt die ökonomische Not der Menschen: Die kurdischen Gebiete - wo es Öl-, Gas-, Eisen- und Wasserreserven gibt - werden wirtschaftlich ausgebeutet. Vom Gewinn, den die Regierung aus der Bewirtschaftung dieser Gebiete erzielt, bekommen die Kurden indes nichts zu spüren: Bis heute gibt es in einigen kurdischen Dörfern keinen Strom, keine Wasserversorgung und kaum Spitäler.
Ansiedlung in kurdischen Gebieten
In den Jahren 1965 bis 1976 verfolgte die Regierung ein weiteres Programm, das sich gegen die Rechte der Kurden richtete. Arabische Nomaden aus den syrischen Wüstengebieten wurden in den kurdischen Gebiete entlang der syrischen Grenze im Norden und im Osten angesiedelt. Die ansässigen Kurden wurden vertrieben. Damaskus wollte so einen Keil zwischen die Kurdengebiete Syriens und die Nachbarländer Türkei und Irak treiben, um den Kontakt mit den dort lebenden Kurden zu verunmöglichen und gleichzeitig den Zugang zu den Ölfeldern zu verbessern.
Die Ajnabi: Ausländer im eigenen Land
Von jeglichen Rechten ausgeschlossen sind rund 150000 Kurden, sogenannte «Staatenlose», die 1962 gemäss Erlass Nummer 93 der Regierung ausgebürgert wurden. Anstatt ihrer Identitätskarte bekamen sie eine rote Karte, die aus ihnen Ajnabie (Ausländer im eigenen Land) machte. Sie werden offiziell als eine Bevölkerungsgruppe betrachtet. Sie dürfen untereinander heiraten. Die Kinder erben dieses Statut der Staatlosen. Kinder aus einer Heirat zwischen Angehörigen der Ajnabi und einem normalen Bürger werden Maktum genannt. Die Maktum-Kinder kommen nicht einmal in den Besitz dieser diskriminierenden roten Karte. Diese Regelung soll dazu dienen, die Leute davon abzuschrecken, sich mit Ajnabi zu verheiraten.
Die Ajnabi haben in ihrem eingenen Land überhaupt keine Rechte mehr. Sie dürfen kein Land und kein Haus besitzen. Offiziell werden Heiraten nicht anerkannt. Ihre Kinder dürfen nicht zur Schule. In den Spitälern werden Ajnabi nicht behandelt. Sie dürfen nicht ausreisen. Auch eine Nacht im Hotel zu verbringen ist unmöglich, da sie keinen Pass haben. Seit 1962 ist die Zahl der Ajnabi natürlich gestiegen. Da viele nicht registriert sind, gibt es keine genauen Angaben darüber, wie viele Menschen heute in Syrien als Staatenlose leben. Laut Schätzungen sind es rund 250000.
Der junge Assad
Im Westen wurde oft gesagt, unter der Regierung Bashar al-Assads (Sohn des im Sommer 2000 verstorbenen Hafez al-Assad) würde sich die Menschenrechtssituation verbessern. Heute sieht es eindeutig nach einer Verschlechterung aus.
Hätte Bashar al-Assad eine Ahnung davon gehabt, was Demokratie heisst, wäre er nie mit seiner Wahl zum Nachfolger seines Vaters einverstanden gewesen. Ausserdem war der Vater immerhin tatsächlich hoher General und Politiker. Der Sohn ist beides nicht. Er ist nicht für ein solches Amt geeignet und hat keine starke Persönlichkeit. Darum ist zu befürchten, dass er mit Gewalt regieren wird und sich die Angst der Bevölkerung zunutze machen wird.
Hinweise auf seine harte Hand sind zahlreiche Vorkommnisse während seiner ersten Regierungsjahre. So zum Beispiel auch die Neubesetzung des Innenministerpostens mit einem ehemaligen Nachrichtendienstgeneral der Armee (siehe auch Kasten).
Unter dem früheren Präsidenten nannte man Syrien mit Recht eine Diktatur. Unter Bashar al-Assad ist es genauso. Hafez al-Assad war Präsident, heute sitzt sein Sohn auf dem Thron. Die Bezeichnung «Republik» ist nur Schein. Das politische System ist weit davon entfernt, ein demokratisches genannt werden zu dürfen. Natürlich behauptet die Regierung das Gegenteil. Tatsächlich finden keine wirklichen Wahlen statt. Wenn es am Abend der Wahl im staatliche n Fernsehen heisst, die Baath-Partei habe 99,9 Prozent der Stimmen erzielt, dann wissen alle, dass das nicht stimmen kann. Ein solches Resultat kommt nur unter Zwang zustande.
Nicht mucksen
Die oppositionellen Intellektuellen in Syrien wissen über alle Menschenrechtsverletzungen Bescheid. Sie können sich aber nicht erlauben, etwas zu sagen. Bei ihnen, wie bei den Menschen auf der Strasse, hat sich die Devise «ich höre nichts, ich sehe nichts, ich rede nichts» durchgesetzt. 60 Prozent der Menschen in Syrien leben unter dem Existenzminimum. Auch Ingenieure und Lehrer müssen sich mit Nebenjobs über Wasser halten. Den Menschen bleibt keine Zeit für Träume und für Vorstellungen einer besseren Gesellschaft